Im Abschnitt zwischen Liechtenwerder Platz und dem Bahnhof Nußdorf fehlt eine sichere Fahrradinfrastruktur.
TU-Studie: Diese Radwege in Wien haben hohes Potenzial
Eine sichere Radinfrastruktur motiviert mehr Menschen, das Fahrrad zu nutzen: Als Hauptgründe, nicht Rad zu fahren, nennen Wienerinnen und Wiener die Angst im Straßenverkehr und zu viel Kfz-Verkehr. Auch wenn der Radverkehr in den vergangenen Jahren gestiegen ist und mehr RadfahrerInnen angeben, sich sicher zu fühlen: Radwege fehlen noch immer zahlreich. Eine Studie der TU Wien erhob nun den dringendsten Handlungsbedarf für mehr Sicherheit im Radverkehr.
Für Daniela W. im 17. Bezirk gibt es keine Möglichkeit, mit ihren Kindern von zu Hause aus loszuradeln. Gehsteig, parkende Autos, Fahrstreifen – der Radweg fehlt. Deshalb packt sie am Wochenende die Fahrräder ins Auto und fährt damit auf die Donauinsel. Sara S. ist 34 Jahre alt und kann sich nicht vorstellen, aus dem Westen Wiens Richtung Innere Stadt zu radeln. Der Verkehr auf der Alser Straße und Währinger Straße sind für sie unüberwindbare Hürden. Stefan K. arbeitet im 3. Bezirk und kommt mittlerweile selten mit dem Fahrrad, weil er auf der Landstraßer Hauptstraße zu oft brenzlige Situationen, vor allem mit öffnenden Autotüren, erlebt.*
Diese Realität steht den Zielen beim Klimaschutz, für die Gesundheit der BürgerInnen und für eine kindergerechte Stadt gegenüber. Es stellt sich die Frage, wie können wir dort hinkommen, dass Radfahren in Wien nicht mehr nur etwas für die Mutigeren, sondern für alle ist. Eine bessere Radinfrastruktur ermöglicht es all jenen, die Rad fahren wollen, dies auch zu tun.
Systematische Erhebung für sicherere Radwege
Wo sind die Lücken und unsicheren Stellen im Wiener Hauptradverkehrsnetz, die Daniela W., Sara S. und Stefan K. daran hindern, unbeschwert durch die Stadt zu radeln? Die Mobilitätsagentur ließ durch die TU Wien eben jene systematisch erheben und auch, welche Radwege den größten Effekt für mehr Radverkehr in Wien hätten.
Für die Analyse diente das Hauptradverkehrsnetz als Datenbasis. Es überzieht die Stadt im Raster von etwa 300 bis 500 Meter. Viele Strecken sind gut ausgebaut, einige weniger, mit manchen wurde noch nicht begonnen. Welche Strecken ausgebaut wurden, definierte bisher das gerade noch politisch Machbare und weniger eine fachliche Prioritätenreihung. Für einzelne wichtige Radwege, wie den Getreidemarkt oder die Linke Wienzeile, waren politische Kraftakte nötig.
Untersuchung in zwei Schritten
Im ersten Schritt der Untersuchung teilten die ExpertInnen der TU Wien das Hauptradverkehrsnetz in zwei Teile: Bestehende Abschnitte mit subjektiv sicheren Anlagen bzw. baulich getrennten Radwegen wurden in der Analyse nicht weiter berücksichtigt. Es handelt sich dabei um sichere Infrastruktur, auch wenn die Breiten in einigen Fällen nicht mehr zeitgemäß sind, zum Beispiel auf der Praterstraße oder der Argentinierstraße. Berücksichtigt wurden alle anderen Abschnitte – also jene Abschnitte, die subjektiv als unsicher klassifiziert werden können, zum Beispiel auch Mehrzweckstreifen.
Im zweiten Schritt wurden jene Straßenabschnitte am Hauptradverkehrsnetz, die als subjektiv unsicher gelten, bewertet. Für fünf Kriterien wurden hier mit Hilfe eines Geoinformationssystems Punkte vergeben:
- Zentralität: Je zentraler, desto höher ist aufgrund der monozentrischen Struktur Wiens das Potenzial.
- Bevölkerungsdichte: Je höher, desto mehr Menschen können den Radweg nutzen.
- Öffi-Linien: Je eher starke Öffi-Linien in der Straße sind, desto eher benötigt es getrennte Infrastruktur
- Verkehrsmenge: Je mehr Kfz-Verkehr, desto wichtiger ist ein Radweg
- Tempolimit: Je höher das Tempo (50/70), desto eher benötigt es sichere Infrastruktur
Radoffensive ist notwendig
Bewertet wurden 1.141 Abschnitte in 362 Straßen. Das Ergebnis der dringendsten Radwege zeigt deutlich: Bei der Hälfte der bewerteten Straßenabschnitte besteht hoher Handungsbedarf. Die Liste dieser Straßen liest sich wie das Who is Who der Wiener Straßen: Von der Alser Straße über die Äußere Mariahilfer Straße und die Fasangasse bis hin zur Wallensteinstraße.
Interaktive Grafik der Radwege mit hohem Potenzial
Durch einen Klick auf einen Punkt in der interaktiven Grafik erhalten Sie mehr Informationen zu jenen Radwegen, die ein hohes Potenzial haben, den Radverkehr zu erhöhen. Die Straßenzüge in dunkelroter Farbe haben ein besonders hohes Potenzial.
Besonders hohes Potenzial
Auf welchen Straßenzügen würde sichere Radverkehrsinfrastruktur den Anteil des Radverkehrs in Wien am meisten heben? Auch auf diese Frage gibt die Studie eine Antwort. Es sind folgende sechs Straßenzüge:
- Währinger Straße
- Universitätstraße/Alser Straße/Ottakringer Straße
- Hernalser Hauptstraße
- Alserbachstraße/Wallensteinstraße
- Mariahilfer Straße
- Ungargasse/Fasangasse
Das Ergebnis zeigt, dass innerstädtischer Raum künftig wohl anders gedacht werden muss. Mit deutlich weniger Autoverkehr und Stellplätzen. Die klimafitte und radfreundliche Umgestaltung der Straßen ist ein Projekt für die nächsten zwei Jahrzehnte, ein Milliardenprojekt. Genauso wie Krankenhäuser und U-Bahnen Teil des täglichen Lebens und des Stadtbudgets sind, ist es nötig, dass künftig auch eine sichere Radinfrastruktur dazuzählt. Dabei sind Synergieeffekte für mehr Aufenthaltsqualität, bessere Bedingungen für Zufußgehen und kühlendem Grün sehr gut möglich.
Mit dem entschlossenen Ausbau des Radverkehrs zu beginnen, würde Wien nach der Phase der autogerechten Stadt, die mit der Massenmotorisierung begann, auf eine neue Stufe heben. Gemeinsam mit dem starken Öffentlichen Verkehr gibt es beste Voraussetzungen, diesen Wandel zu bewältigen. Auch der U-Bahnbau hat schließlich vor Jahrzehnten mit der kurzen Strecke Karlsplatz-Südtiroler Platz begonnen.
Wird die Vision Realität, radeln die Enkelkinder von Daniela W. selbstständig zur Schule radeln, Sara S. radelt als 45-Jährige selbstbewusst über die Rad-Tram-Route Währinger Straße in die City und Stefan K. freut, wieder mit dem Fahrrad ins Biocenter zur Arbeit zu radeln, denn das hält ihn auch noch kurz vor der Pensionierung fit.
Die gesamte Studie kann hier heruntergeladen werden. Auch eine Überblickskarte steht zum Download zur Verfügung. Die Ergebnisse fließen auch in ergänzende Untersuchungen der Stadt Wien (MA 18) zum Ausbau des Hauptradverkehrsnetzes mit ein.
* Die Namen wurden geändert, die Situationen wurden der Mobilitätsagentur so geschildert und liefern ein gutes Abbild vieler Anliegen, die in der Mobilitätsagentur einlagen.
Die Analyse erfolgte automatisiert mit Geoinformationssystemen und ist auf das Hauptradverkehrsnetz der Stadt Wien beschränkt. Straßen, die außerhalb des Hauptradverkehrsnetzes liegen, aber hohes Potenzial hätten, etwa die Schlachthausgasse im 3. Bezirk, wurden deshalb nicht berücksichtigt. Ebenso nicht berücksichtigt wurden baulich getrennte Radwege unabhängig von ihrer Qualität. Bevölkerungsdichten entlang der Radwege fanden Eingang in die Untersuchung, nicht jedoch Arbeitsstätten. Auch die Transitfunktion für den Radverkehr mancher Abschnitte wurde nicht eigens beurteilt. Dadurch erhält beispielsweise die kurze, aber sehr wichtige Bellariastraße weniger Priorität. Die Ergebnisse liefern trotz mancher Einschränkung eine sehr gute Näherung und Einschätzung darüber, welche Radwege hohe Zuwächse des Radverkehrs ermöglichen.