ofo und oBike auf dem Sprung nach Wien
Zwei asiatische Leihradanbieter starten in Wien. Was bedeutet das für unsere Stadt?
Die Geschichte ist fast unglaublich. ofo begann als Projekt von Studenten an der Pekinger Universität. Im Jahr 2014 wurde das Unternehmen gegründet, drei Jahre danach wird der Wert auf zwei Milliarden Euro geschätzt. Laut Angaben von ofo sind derzeit 6,5 Millionen ihrer Fahrräder in asiatischen Städten unterwegs. Jetzt wollen ofo und andere kürzlich entstandene Bike-Sharing-Unternehmen auch europäische Städte mit ihren bunten Fahrrädern versorgen. Darunter auch Wien.
ofo und oBike starten in Wien
Ich führte sowohl mit ofo als auch oBike Gespräche über den Start in Wien. Am Werk sind dabei smarte Managerinnen und Manager in T-Shirts, die kaum älter als 30 Jahre sind. Sie denken in einer Expansionsgeschwindigkeit, die wir in Österreich nicht gewohnt sind. Mit einem Schnipp werden Schiffscontainer mit tausenden Fahrrädern nach Wien geordert und in Wien Service-Teams organisiert. Gedacht wird global, mit strengen Zielvorgaben, es ist ein beinharter Verdrängungswettbewerb, denn von den dutzenden Unternehmen wird wohl nur eine Hand voll übrig bleiben. Wer schneller da ist, wer größer ist, der bleibt.
Ob sich das Geschäftsmodell rechnet, können Beobachter derzeit nicht sagen. Das Angebot funktioniert ähnlich wie das Carsharing Car2Go, nur mit Fahrrädern. Mit einer App wird das Fahrradschloss entriegelt. Fahrräder können im Betriebsgebiet überall entliehen werden, überall zurückgegeben werden. Die Apps von ofo und oBike sind bereits verfügbar. Seit 17. August können die ersten Fahrräder von oBike in Wien ausgeliehen werden. Die Leihräder von ofo sind seit 27. August verfügbar.
oBike haben wir bereits getestet. Hier das Testergebnis: Der erste Wiener oBike Test
Branchenexperten sprechen von einer der größten Disruptionen auf dem Fahrradmarkt bisher. Noch nie wäre so viel Geld im Spiel gewesen. Investoren sind unter anderem Alibaba, Foxconn, der chinesische Internetdienstleister Tencent und andere zahlungskräftige Internet- und Sharing-Unternehmen. Apple-Chef Tim Cook war auch schon zu Gast in der ofo-Zentrale. Im 20. Jahrhundert war Erdöl das große Geschäft im Verkehr, im 21. Jahrundert spielen Daten auch in diesem Bereich eine immer größere Rolle.
In Wien planen die Anbieter mit ein paar hundert Fahrrädern in den Innenbezirken zu starten, wenige Wochen danach könnte auf ein paar tausend aufgestockt werden. Je mehr Fahrräder, desto eher sind sie für die Menschen in Wien verfügbar, desto eher werden sie genutzt. Zum Vergleich: Derzeit sind in Wien rund 1.500 stationsgebundene Citybike-Fahrräder auf der Straße. Der Aufbau brauchte mehr als 13 Jahre und kostete die Stadt Millionen Euro. Wann das bestehende System ausgebaut wird steht nicht fest. Es fehlt der Stadt wegen hoher Investitionen in Stadterweiterung und U-Bahnausbau an Geld. Jetzt könnten innerhalb von einem Monat mehr neue Leihfahrräder, als Citybikes in 13 Jahren, auf Wiens Straßen stehen und fahren.
Das ist eine große Chance. Die unmittelbare Verfügbarkeit von Fahrrädern nimmt stark zu, die Fahrradnutzung damit ebenfalls. Zahlreiche Bike-Sharing-Anbieter bewerben die Fahrräder auch mit umweltfreundlichem und klimaschonendem Verhalten. Laut Berichten bewirkten sie in chinesischen Städten tatsächlich weniger Stau und einen Boom des Radverkehrs. Auch in Wien gibt es dafür großes Potenzial. Im Fahrrad Report 2016 nannten 31 Prozent der Befragten als Grund nicht Rad zu fahren, gar keines zu besitzen. Dieses Motiv fiele weg. Man stelle sich vor, es gilt etwas zu erledigen, ein paar hundert Meter entfernt. Am Straßenrand steht ein Leihrad. Mit der App ist es in Sekundenschnelle entriegelt. Die Kosten sind mit einem Euro je halber Stunde gering, in wenigen Minuten ist man am Ziel.
Kehrseite der Medaille: Wo sollen die Fahrräder abgestellt werden?
Die Medaille hat allerdings auch eine Kehrseite. Wo sollen die tausenden Fahrräder abgestellt werden? Es gibt keine Stationen. Die Leihfahrräder können einfach frei abgestellt werden, mit dem Rahmenschloss am hinteren Rad in sich versperrt. Diebstahl ist auch zwecklos, weil Spezialteile eingesetzt werden. Aus einigen Städten gibt es Berichte von Gehsteigen, die durch Leihräder verstellt werden. Amsterdam, wo ohnehin schon fast jeder ein Fahrrad hat, überlegt, sie zu verbannen. Florenz, Manchester und mittlerweile auch Zürich scheinen damit zurecht zu kommen.
Die Straßenverkehrsordnung in Österreich erlaubt den Betreibern das Abstellen ihrer Fahrräder. Sie können rechtskonform in der Parkspur oder am Gehsteig, wenn dieser breiter als zweieinhalb Meter ist, platzsparend geparkt werden – und natürlich in Fahrradabstellanlagen. Das parken dieser Fahrräder in Fußgängerzonen ist nicht erlaubt.
Stellen wir uns eine U-Bahnstation in Wien vor: Viele Fußgänger, knapper Platz, wo es möglich ist, gibt es bereits Radabstellbügel, die gut ausgelastet sind. Jetzt sollen noch die Leihräder Platz finden und tunlichst nicht im Weg stehen. Wir wissen nicht genau, wie sich die Nutzerinnen und Nutzer der Fahrräder verhalten werden. Über die App können konkrete Handlungsanweisungen zum Abstellen mitgegeben werden, beim wiederholten Verstoß dagegen kann man vom System gesperrt werden. Wir hoffen, dass die Informationsysteme der Anbieter wirken.
Der Stadt ist es ein Anliegen, dass die Fahrräder in der Parkspur positioniert werden, was die logische Folgerung aus der Strategie der Stadt nach mehr umweltverträglichem Verkehr ist. Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten ist dies allerdings in Wien nicht üblich. Die Verfügbarkeit bestehender Abstellanlagen und die Barrierefreiheit am Gehsteig sollen so nicht beeinträchtigt werden.
Infos und Kontakte zu Leihradsystemen in Wien
Wien bietet gute Vorraussetzungen
Tatsächlich bietet Wien gute Voraussetzungen für Leihradsysteme. Der Anteil des Autoverkehrs ist vergleichsweise gering, jener der Öffis hoch. Leihräder sind eine gute Ergänzung für kurze Distanzen oder die sogenannte letzte Meile. Die Stadt wird beobachten, wie die Leihrad-Systeme in der Testphase in Wien funktionieren und regelmäßig Rückmeldung an deren Betreiber geben. Unser Bestreben ist, zu kooperieren, Probleme, die es zu Beginn geben wird, rasch zurückzumelden. Wie oft bei Neuem, ist im Vorhinein nicht klar, ob die neuen Systeme Erfolg haben werden, ob sie bestehen werden. Als Beitrag zu mehr Klimaschutz und nachhaltigerem Verkehr in der Stadt wäre es zu wünschen.
Der Artikel wurde am 28.8.2017 aktualisiert.