In Bewegung: Evandros Wien zwischen Tanz und Pedalen
Der Tänzer und Performer Evandro legt seine Wege in Wien mit dem Fahrrad zurück. Der Künstler mit brasilianischen Wurzeln, der auch für ImPulsTanz arbeitet, ist seit zehn Jahren in Wien und leidenschaftlicher Radfahrer. Wir haben ihn zum Interview getroffen und mit ihm unter anderem über das spezielle Lebensgefühl beim Radfahren gesprochen.
Du bist seit zehn Jahren in Wien und hier hauptsächlich mit dem Rad unterwegs. Warum?
Ich fahre wirklich gerne mit dem Fahrrad. Und ich finde, dass es das Leben viel günstiger macht, weil man nicht auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen muss. Ich finde es einfach praktisch, durch Wien zu radeln. Man kommt gut von A nach B, und man ist super flexibel. Auch Radfahren auf der Donauinsel finde ich eine schöne Aktivität.
Wenn du von Radfahren als Aktivität sprichst, ist Radfahren für dich eher eine Sportart oder ein Verkehrsmittel oder beides?
Es kommt darauf an. Im Laufe des Tages ändert sich das auch. Auf der einen Seite ist das Fahrrad sehr praktisch, also ein Transportmittel, wenn ich zur Arbeit muss. Ich arbeite in verschiedenen Studios in Wien, und das Fahrrad erleichtert mir, schnell irgendwohin zu gelangen, sodass ich nicht so früh aufstehen oder mich mit öffentlichen Verkehrsmitteln herumschlagen muss.
Auf der anderen Seite: Wenn ich frei habe, fahre ich gerne mit dem Rad herum oder schaue mir auch einfach Orte an, die ich nicht kenne, und entdecke sie mit dem Fahrrad. Und ab und zu betreibe ich Radfahren auch gerne als Sport, fahre zum Beispiel auf der Donauinsel mit dem Rad von Süden nach Norden hin und zurück.
Bleiben wir beim Fahrrad als Verkehrsmittel. Wie sieht dein typischer Arbeitsalltag aus und welche Rolle spielt das Fahrrad dabei?
Normalerweise beginne ich um zehn zu arbeiten. Es kommt also darauf an, in welches Studio ich muss, wann ich das Haus verlasse. Meist arbeite ich dann bis 18 Uhr und mache irgendwann gegen 14 Uhr Mittagspause. Hin und zurück komme ich normalerweise mit dem Fahrrad und auch in der einstündigen Mittagspause nehme ich immer wieder einmal das Fahrrad. So ist es einfacher, irgendwohin zu fahren, sich hinzusetzen, zu essen und zurückzuradeln. Nach der Arbeit geht’s entweder direkt nach Hause oder ich treffe mich mit Freund:innen auf einen Drink oder zum Essen. Oder wenn ein Festival wie ImPulsTanz ist, sehe ich mir eine oder mehrere Performances pro Tag an. Da ist das Rad auch super praktisch, um zwischen den Spielstätten schnell hin und her zu kommen.
Ich habe deine Biografie auf der Impulstanz-Website gelesen und dabei festgestellt, dass du schon an zahlreichen Orten auf der Welt gearbeitet – und gelebt – hast. Hast du dabei auch internationale Erfahrung zum Radfahren sammeln können? Und könntest du für uns Wien mit anderen Städten vergleichen?
Ich arbeite viel im Ausland, nicht immer habe ich auch ein Fahrrad zur Verfügung. Der einzige Ort, an dem ich gearbeitet habe und der von der Größe her mit Wien vergleichbar ist, war Kopenhagen. Kopenhagen ist eine Stadt, die gut zum Radfahren geeignet ist. Die Radwege dort sind sehr breit, so dass man sich leicht zurechtfinden konnte und sich keine Sorgen um Autos machen musste. Wenn’s um einen Städtevergleich geht, merke ich aber, dass ich einfach an Wien gewöhnt bin. Hier haben wir mancherorts keine baulichen Radwege, aber im Allgemeinen findet man welche. Und auch die Routen sind in Wien gut ausgeschildert.
Was mir im Vergleich noch auffällt: In Wien sind die Regeln sehr wichtig, hier gibt’s nicht so viel Flexibilität. Und das ist vor allem bei Baustellen ein Problem, wenn diese nicht gut beschildert sind. Da finde ich das Passieren der Baustelle oft etwas verwirrend und frage mich immer: Mache ich etwas falsch? Wird jemand etwas sagen? Wird die Polizei es sehen? Bekomme ich eine Geldstrafe? Aber ich habe das Gefühl, dass ich wenig dafür kann, wenn die Beschilderung unzureichend ist.
Wann hast du mit dem Radfahren angefangen?
Sehr jung, so mit fünf Jahren, vielleicht sogar früher. Und ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal richtig Radfahren gelernt habe und richtig arg gestürzt bin. Es war eine Art Hügel, und es hatte wahrscheinlich geregnet oder so, denn es gab eine Wasserlacke. Und bei sowas weiß man eigentlich nie vorher, ob es sie nur ganz seicht oder richtig tief ist. Also bin ich da mit Schwung durchgefahren und vom Fahrrad geflogen. Aber seit diesem Tag bin ich nie wieder gestürzt und habe gelernt, richtig Fahrrad zu fahren.
Und du warst damals 5 Jahre alt?
Ja, ich denke schon. Ich war damals noch recht jung. Außerdem erinnere ich mich, dass ich mir immer neue Fahrräder gewünscht habe und viel Zeit damit verbracht habe, das Fahrrad zu putzen, zu reparieren oder zu dekorieren und mich mit meinen Freunden zu treffen. Auch heute noch kann ich mein Fahrrad selbst reparieren.
Ist dir das Reinigen und Dekorieren auch geblieben?
Das ist verschwunden. Heutzutage könnte mein Fahrrad sicher etwas sauberer sein. Mein Fahrrad hier war übrigens ein schönes Geschenk von vielen Freunden und Freundinnen zu meinem 30. Geburtstag. Es liegt mir also auch sehr am Herzen, weil hier einfach viele zusammengezahlt haben, um mir eine Freude zu machen.
Bist du, nachdem du das Radfahren gelernt hast, mit dem Fahrrad zur Schule gefahren? Oder war Radfahren nur etwas, um dich mit Freunden zu treffen?
Ich habe ums Eck von der Schule gewohnt und bin da zu Fuß hin. Beim Radfahren ging es meistens darum, Freunde zu treffen, durch die Nachbarschaft zu radeln, in Stadtparks zu gehen oder ein paar kleine Abenteuer zu erleben.
Viele hören mit dem Radfahren als Jugendliche auf und beginnen später wieder. Wie war das bei dir, bist du dein Leben lag durchgängig mit dem Rad unterwegs?
Ich bin die ganze Zeit mit dem Fahrrad gefahren. Auch als ich nach Österreich gezogen bin – ich habe zuerst in Salzburg gelebt. Da bin ich auch im Winter mit dem Fahrrad gefahren. Jetzt in Wien fahre ich im Winter etwas seltener mit dem Fahrrad, da ich es einerseits mit meinem Fahrrad mit den schmalen Reifen gefährlich finde und andererseits auch berufsbedingt etwas vorsichtiger sein muss.
Du hast auch einen Workshop bei ImPulsTanz auf der Schmelz gehalten. Als ich dort während des Festivals vorbeigekommen bin, habe ich ganz viele Räder dort gehen. Sind auch deine Workshop-Teilnehmer:innen mit dem Fahrrad gekommen?
Ich glaube schon, fast alle wahrscheinlich. Die meisten von ihnen waren Teilnehmende am Festival und hatten daher die Impulstanz-Räder. Es gab auf der Schmelz ja auch eine Station, wo man die Räder ausborgen und servicieren lassen konnte. Das finde ich schon ziemlich cool. Ich habe aber mit meinen Workshop-Teilnehmer:innen nicht übers Radfahren gesprochen. Außerdem erinnere ich mich an das erste Mal, als ich an ImPulsTanz teilgenommen habe, damals wurde mir auch eines der pinken Räder zur Verfügung gestellt. Das war großartig.
Außerdem habe bei ImPulsTanz auch einmal ein Projekt mit 15 brasilianischen Tänzer:innen betreut und war da auch fürs Dolmetschen zuständig. Da wurde mir vom ImPulsTanz-Team gesagt, dass ich ihnen beim Radfahren helfen muss, also ihnen genau sagen, welche Regeln in Österreich gelten. Denn ImPulsTanz möchte verhindern, dass die Teilnehmenden irgendeine Art von Geldstrafe erhalten.
Stell dir zum Schluss unseres Gespräch bitte noch vor, dass du nicht mehr Fahrrad fahren könntest. Was würdest du vermissen?
Das Gefühl, unabhängig zu sein. Radfahren gibt mir viel Freiheit. Ich kann jederzeit Fahrrad fahren und bin nicht auf die Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Ich denke, das ist der Hauptgrund. Aber natürlich gibt es auch ein schönes Gefühl, Rad zu fahren und einfach zu genießen. Andere Leute beim Radfahren zu sehen, schafft eine schöne Stimmung in der Stadt. Aber ich denke, das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit ist für mich das Wichtigste.
Das sind zwei Dimensionen, das eine ist deine persönliche Freiheit und das andere eine kollektive Stimmung. Habe ich dich da richtig verstanden? Du meinst, wenn niemand mehr Fahrrad fahren dürfte, würde sich die Stimmung in Wien völlig verändern?
Ja, mit dem Fahrrad ist es ein spezielles Lebensgefühl, durch die Stadt zu navigieren, sie zu erkunden und miteinander zu interagieren. Einfach dadurch, dass man spontan ist oder auch Orte erreicht, die man sonst nicht so leicht erreichen kann. Vor allem im Sommer verändert sich Wien sehr, wenn mehr Leute Rad fahren, natürlich bedingt durch das Wetter und auch dadurch, dass man sich mehr draußen aufhalten kann. Und ich denke, das war schon immer so und ist nicht erst durch Corona entstanden. Dennoch hat die Pandemie mehr Menschen dazu motiviert, häufiger das Fahrrad zu nehmen. Auch aus praktischen Gründen, denn Radfahren konnte man ohne Maske und Radfahren gab einem auch die Freiheit und Flexibilität, sich fortzubewegen. Hoffentlich haben viele Leute dadurch den Mehrwert am Radfahren erkannt und sich ein Fahrrad gekauft oder ihr Fahrrad repariert.
Über die pinken Räder von ImPulsTanz haben wir auch mit Rio Rutzinger aus dem künstlerischen Leitungsteam vom ImPulsTanz gesprochen. Rio erzählt darin unter anderem, wie es zur Idee kam, den Festivalteilnehmenden Räder zur Verfügung zu stellen.