Die sportliche Judith lernt Radfahren
Judith macht in ihrer Freizeit viel Sport. Bisher ist sie aber nicht mit dem Fahrrad gefahren, das hat die 35-Jährige erst im Frühjahr in einem Radfahrkurs für Frauen aus aller Welt gelernt, den der ÖAMTC gemeinsam mit uns anbietet. Im Interview verrät sie, wie’s ihr im Kurs gegangen ist, wo sie seither unterwegs ist und was sie bei ihren radelnden Freud:innen überrascht hat.
Vom Radkurs zum Radurlaub
Wie kam’s dazu, dass du den Kurs besucht hast?
Ja, ich wollte eigentlich immer schon Radfahren lernen. Das ist aber als Erwachsene gar nicht so einfach, man geht mit ganz viel Angst ran. Nachdem es mir ein Freund gezeigt hat, konnte ich gerade aus fahren, aber man ist ja dann recht weit entfernt vom Straßenverkehr. Und das war mir wichtig, dass man das lernt. Und bei unserem Kurs waren vier oder fünf Ausfahrten dabei, und diese Stadtfahrten wollte ich unbedingt machen.
Gab’s einen bestimmten Anlass, dass du dich dazu entschlossen hast, Radfahren zu lernen?
Ja, weil ich jetzt in Wien bin und es hier sicher möglich ist, zur Arbeit zu kommen, weil’s so ein schönes Radwegnetz gibt. Also, ich komme aus Berlin und da ist es so, dass man schon nochmal eine Stufe mutiger sein muss, um sich mit dem Rad in den Straßenverkehr zu trauen. Und hier wusste ich, dass es von meiner Haustür bis zu meiner Arbeit einen durchgängigen Radweg gibt. Also ich müsste dem nur geradeaus folgen und es ist alles mit Ampel und alles sicher. Und da hab ich gedacht, es wäre eigentlich so schön, wenn ich Radfahren könntest.
Fährst du seither mit dem Rad zur Arbeit?
Nicht immer, es kommt immer darauf an, was ich auf Arbeit zu tun habe. Wenn ich zum Beispiel eine Vorlesung halte, dann tu ich das nicht, ich will einfach nicht verschwitzt ankommen. Aber wenn ich einfach nur im Büro bin, dann ja.
Und wie fühlt es sich jetzt an, in der Stadt mit dem Rad unterwegs zu sein?
Mittlerweile ist es schon fast normal, weil es ist ja schon ein paar Monate wieder her ist. Aber manchmal denk ich, ja voll cool, dass ich das gemacht habe.
Hauptsächlich bin ich im 2. und im 21. Bezirk sowie auf der Donauinsel unterwegs. Manchmal fahr ich auch in die Innenstadt rein. Das war auch so der Moment, einmal die Ringrunde fahren. Am Anfang hatte ich da schon Schiss davor, weil das ist nochmal voller und nochmal mehr Querstraßen, aber es ging eigentlich. Hauptsächlich fahre ich dabei auf baulich getrennten Radwegen, aber hier im 2. Bezirk fahre ich auch mal ohne Radwege, weil ich auch das Viertel besser kenne. Aber wenn ich woanders hinfahre, dann schau ich immer in einer App, die mir die Radwege angezeigt. Und wenn ich sehe, dass es Radwege gibt, dann nehme ich die. Sonst müsste ich vielleicht zuerst mal zum anschauen hinfahren. Denn Straßenbahnschienen finde ich z.B. gruslig, weil ich treffe schon manchmal noch die falschen Entscheidungen. Und dann will ich nicht auch noch Straßenbahngleise dort haben.
Was war dein Highlight bisher?
Ich hatte Urlaub im September und wusste nicht so richtig, was ich machen soll. Und dann habe ich gedacht: Jetzt wo ich Radfahren kann, mache ich eine Radtour. So bin ich von Passau nach Wien gefahren. Und das war schon echt schön. Ich war letztendlich fünf Tage unterwegs, aber ich habe das im Vorfeld nicht geplant, weil ich wusste auch nicht, wie viele Kilometer ich so am Tag schaffen werden. Also bin ich dann einfach losgefahren, und wenn mir den Hintern weh tat, hab ich mir ein Hotel gesucht. Ich war sehr überrascht, dass es so gut ging, wobei ich öfter mal hingeflogen bin. Aber es passiert.
Im Kurs gemeinsam zum Erfolg
Was war dein Highlight im Kurs?
Ich glaube, das war gar nicht so meins, sondern dass wir es alle dann geschafft haben. Ich glaube, wir waren sieben oder sechs Teilnehmerinnen, die die dann die Stadtausfahrten miteinander gemacht. Und das fand ich schon eine gute Quote. Das war schon beeindruckend, dass es in drei Wochen geht, Radfahren zu lernen. Am Anfang dachte ich: drei Wochen ist echt ein verdammter Aufwand, jeden Tag drei Stunden, das ist unfassbar viel Zeit. Das hat mich anfänglich auch abgehalten, aber es war halt auch nötig, glaube ich.
Kannst du uns erzählen, wie die drei Wochen Kurs abgelaufen sind?
In den ersten beiden Wochen waren wir nur auf dem Übungsplatz, zuerst mit dem Roller, dann mit dem Fahrrad. Und ich glaube, am zweiten Freitag sind wir das erste Mal rausgefahren. Am Anfang halt hauptsächlich in den Prater. Aber wir wurden dann auch gefragt, wo wir hinwollen. Und dann haben wir gesagt: Wir wollen auf die Donauinsel, aber auch in der Praterstraße sind wir gefahren. Und wir sind auch im 2. Bezirk durch die Gassen gefahren.
Musstest du dich auch überwinden im Kurs?
Ja klar, bei allen Sachen. Und man fliegt auch öfter mal hin. Ich mein, es ist da nie was passiert, aber es kommt halt schon vor. Auch im Stadtverkehr: Als wir über so Bodenwellen gefahren sind, sind eine andere Teilnehmerin und ich gestürzt. Und da meinte die Kursleiterin, dass sie vergessen hätte, uns zu sagen, dass wir abbremsen sollten. Also sie hat in dem Moment halt auch nicht gewusst, dass wir nicht abbremsen würden. Und wir wussten nicht, dass wir abbremsen müssen. Gut, seitdem weiß ich, ich muss abbremsen. Aber sie auch an anderer Stelle ein paar Sachen gesagt: z.B. nicht einem zu spitzen Winkel auf eine Bordsteinkante fahren, weil man auch hinfällt.
Erwachsene lernen anders als Kinder
Was mir auch aufgefallen ist, dass ich mit den Sachen, die wir bei dem Kurs gemacht haben, oft zu meinen Freunden gegangen bin und sie gefragt habe, wie sie das machen. Als Erwachsene denkt man über die Dinge anders nach, wenn man sie lernt, und sucht einen Weg, wie man das Abarbeiten kann. Aber als Kind macht man das nicht, da tut man einfach. Und dann hab ich immer gefragt, und ganz oft bekam ich als Antwort „Das kann ich gar nicht“. Dann dachte ich: Ihr könnt Rad fahren, warum könnt ihr das alles nicht?
Hast du ein Beispiel?
Ja, zum Bespiel Handzeichen geben. Das fand ich ganz schwierig, und das fand ich noch schwieriger, als ich diese Antwort gekriegt hatte. Für mich war am Anfang die Annahme, dass ich, wenn ich nicht sicher Handzeichen geben kann, nicht zur Arbeit fahren kann.
Im Kurs haben wir außerdem geübt: An einem Tisch vorbeifahren, dann etwas von dem Tisch aufzunehmen während der Fahrt und dann weiterzufahren. Das hat, glaub ich, keine von uns hingekriegt, weil den Abstand zum Tisch einschätzen, war nicht so leicht. Und dann auch noch den Lenker loslassen oder irgendwas nehmen. Spannend war, dass neben unserem Kurs einer für Kinder war. Die haben viel schwierigere Sachen gemacht und das immer total gerockt. Die machen das einfach und es klappt irgendwie. Das hab ich auch gemerkt, wenn ich meine Freunde gefragt habe, wie sie Handzeichen konnten. Jene, die’s konnten, haben zurückgefragt: „Wie meinst du?“ – „Ja, was machst du da mit deinem Körper? Spannst du irgendwas an? Welches Bein hast du unten? Wie kriegt man die Position stabil?“ Und ich hab immer als Antwort bekommen, dass sie’s nicht wissen, sondern einfach machen.
Ich hab gerade darüber nachgedacht, wie ich das mit dem Handzeichen machen. Das Bein ist für mich egal.
Ich hab’s nämlich nie hingekriegt, bis wir die Stadtausfahrten gemacht haben. Und dann habe ich gesehen, dass die Kursteilnehmerin vor mir, immer das linke Bein unten hatte, wenn sie mit dem rechten Arm Zeichen gegeben hat. Und das stabilisiert das. Aber auf die Idee kam ich gar nicht, und dann hab ich’s bei ihr gesehen und dann konnte ich’s auf einmal.
Ich habe davor auch nie nachgefragt, ich dachte einfach, es sei noch zu früh. Es war einfach nur ein Hinweis und dann ging’s. Aber das halt einfach abgucken bei der anderen Teilnehmerin und dann ging’s auch. Inzwischen probiere ich auch so Sachen, wie ein Bein auf der Bordsteinkante abstellen. Für Leute, die schon lange Radfahren, ist das eine Kleinigkeit, aber für mich ist es total schwierig aus einer anderen Position dann anzufahren. Ich weiß nicht, viele denken, das ist so das gleiche, aber es immer ein anderer Bewegungsablauf und der ist immer herausfordernd. Und gut, ich kann jetzt einen und die anderen müssen noch kommen.
Unabhängiger durchs Radfahren
Was unterscheidet jetzt Radfahren für dich von anderen Verkehrsarten oder Verkehrsmitteln?
Ich bin unabhängiger. Also ich kann einfach machen, was ich möchte. Also ich muss nicht auf einen Bus warten, obwohl das hier in Wien auch sehr schön ist, also da kann man gar nicht meckern. Und ich habe auch das Gefühl, ich habe den Sport dann schon gemacht für den Tag. Also manchmal wenn ich merke, ich schaff nichts anders, dann nehme ich einfach das Rad zur Arbeit, weil dann bin ich schon mal 40 Minuten unterwegs gewesen und ich glaube, das ist für die Seele auch ganz gut.
Wenn ich jetzt sag, du darfst nicht mehr Radfahren. Was würdest du vermissen?
Wahrscheinlich schon den sportlichen Aspekt. Ich laufe sonst sehr viel, und mit dem Rad hat sich mein Bewegungsradius viel mehr erweitert. Das heißt, ich komm ohne merklich fitter zu sein, einfach mal 40 Kilometer weit. Und das geht mit dem Laufen nicht. Und dadurch hab ich auch Ecken von Wien entdeckt, wo ich dachte, ich würde nicht hinkommen. So habe ich zum Beispiel schon die ganze Donauinsel gesehen. Und das finde ich sehr schön, dass man ein bisschen weiter raus kann und unabhängig ist und nicht gucken muss, wann die Öffis kommen und einfach machen kann, was man möchte. Ja, das würde mir fehlen.
Wenn Sie auch Radfahren lernen oder besser lernen möchten, starten im Frühjahr 2023 wieder neue Kurse des ÖAMTC in Kooperation mit der Mobilitätsagentur Wien. Unter diversitaet@oeamtc.at können sich Interessierte informieren und anmelden.