Florian führt mit seinem Long-Tail-Fahrrad am Radweg

Klein & Groß radelt: Kidical-Mass-Organisator Florian im Gespräch

Florian legt viele Strecken mit dem Fahrrad zurück. Früher ist der gebürtige Wiener mit dem Fahrrad in die Schule gefahren, heute engagiert er sich dafür, dass das viele Kinder tun können. Er ist daher nicht nur in der Radlobby Penzing aktiv, sondern auch Mitorganisator der Kidical Mass in Österreich. Wir haben mit ihm über seine Radfahrbiografie und über die Kidical Mass, die am 24. September zum nächsten Mal stattfindet, gesprochen.

„Wenn ich nicht mit dem Rad kommen kann, kann ich leider nicht kommen.“

Seit wann bist du mit dem Fahrrad unterwegs?

Ich habe in der 4. Klasse Volksschule begonnen, meinen Schulweg mit dem Rad zu bestreiten und habe das dann auch viele Jahre im Gymnasium noch gemacht. Später hatte ich eine Radfahrpause und war wirklicher Autofahrer. Das hat sich dann wieder gewendet und ich habe begonnen, alles mit dem Rad zu fahren, und das Auto verkauft.

Wie waren während deiner Schulzeit die Radwege in Wien? 

Also auf dem Weg in die Volksschule, das war natürlich ein kurzer Weg, hat’s de facto nichts gegeben. Das war in Hütteldorf auf einer Strecke, wo ich mir heute nur auf den Kopf greifen würde, wenn ich mein Kind diese Strecke fahren lassen würde. Ich denke, dass halt noch wesentlich weniger Verkehr war, und ich glaube, es war auch eine andere Stimmung im öffentlichen Raum. Ich glaube, es wurde auf Kinder mehr geachtet, als es heute der Fall ist. In der Unterstufe gab’s dann keine Radinfrastruktur, aber Seitengassen, die befahrbar waren. Ich bin also mit dem Straßenverkehr sozialisiert worden.

Florian steht neben seinem Fahrrad

Was hat dich dann wieder weg vom Auto zum Rad gebracht?

Ins Autofahren bin ich hineingerutscht. Ich hatte damals einen Arbeitsplatz, der mir zu weit weg war, um dort mit dem Rad hinzufahren. Und meine Eltern haben mir ein Auto zur Verfügung gestellt. Es war recht einfach, das Ding zu benutzen. Aber irgendwann hat sich’s ergeben, dass ich gesagt habe, es kostet zu viel, es ist umweltschädlich, ich lasse es weg.

Du bist auch mit einem „nicht ganz normalen“ Rad hierher gekommen. Kannst du mehr über dieses Rad erzählen?

Über dieses Rad im Speziellen? Von der Type her ist das ein Long Tail. Das habe ich aus der Notwendigkeit heraus, meinen Sohn mitnehmen zu können, der mittlerweile schon 12 Jahre alt ist. Im Laufe der Zeit hat es sich so ergeben: Zuerst hatte ich einen Kindersitz am normalen Rad, dann ein Lastenrad, wo er vorne drinnen sitzen kann, und jetzt eines, wo er gemütlich hinten draufsitzen kann. Das habe ich jetzt auch schon länger und ich kann ihn wirklich immer mit dem Rad mitnehmen: Ganz egal, ob es eine lange Strecke ist, die er nicht fahren kann, oder irgendwo, wo viel Verkehr ist und ich nicht mag, dass er selber fährt, oder wenn wir es eilig haben.

Was unterscheidet denn das Radfahren für dich von allen anderen Fortbewegungsmöglichkeiten? Also nicht nur im Vergleich zum Auto, von dem wir vorher schon gesprochen haben, sondern auch im Vergleich zu den Öffis?

Die Ungebundenheit – ich kann fahren, wann ich will. Aber das wäre beim Auto das Gleiche. Ein wichtiger Unterschied ist daher auch der Umweltgedanke. Und natürlich die Bewegung. Seitdem ich wieder viel und regelmäßig Rad fahre, habe ich 10 Kilo weniger als vorher. Außerdem mag ich das einfach gerne, auch die Natur ein bisschen zu spüren. Den Wind, den Regen, den Schnee, das Eis im Winter.

Du radelst das ganze Jahr über in die Arbeit?

Ja, genau. Ich fahre immer. Und ich habe einmal scherzhaft in der Firma gesagt: Wenn ich nicht mit dem Rad kommen kann, kann ich leider nicht kommen. Und so ist’s auch – ich bin nie ohne gefahren.

„Für die Kinder ist es wirklich ein supertolles Erlebnis“

Wie ist es zur Kidical Mass in Wien gekommen?

Wir haben 2018 damit begonnen. Also wir – ich bin nicht alleine der Kopf dahinter – sind in Wien zu zweit und tragen das auch in die anderen Bundesländer weiter. So sind mittlerweile schon über 10 Städte dabei. Vor Ort gibt’s immer jemanden, der sich darum kümmert. Ich organisiere auch regelmäßig Vernetzungstreffen zum Erfahrungsaustausch, und es gibt auch gemeinsame Drucksorten.

Mittlerweile ist die Veranstaltung schon fast ein Selbstläufer. Es fließen also nicht hunderte Stunden Arbeit hinein. Man muss eine Demo anmelden, man muss sich mit der Polizei und den Wiener Linien auseinander setzen und ein bisschen etwas Organisatorisches machen. Dann braucht’s noch eine:n Grafiker:in, die schöne Drucksorten oder auch T-Shirts macht. Nur die Bewerbung ist aufwändiger, also Plakate und Flyer verteilen, wobei das auch mittlerweile einige Leute aus der Radfahrcommunity übernehmen. Die fragen dann: „Kann ich bitte einen Stapel Flyer zum Verteilen haben?“ Also das läuft schon ein bisschen von selbst.

Teilnehmende bei der Kidical Mass

Kidical Mass im Auer-Welsbach-Park (© Kidical Mass Österreich)

Wie läuft so eine Kidical Mass dann ab?

Treffpunkt ist immer am Platz der Menschenrechte, also ganz unten bei der Mariahilfer Straße. Es ist immer an einem Samstag um 3 Uhr. Zirka 20 Minuten vorher kommen die ersten Leute an, der Platz füllt sich dann bis zur Abfahrt. Und um 3 wird dann losgefahren. Es ist immer eine Strecke, die ziemlich genau 5 Kilometer lang ist. Das haben wir auch aus internationalen Erfahrungen herausgelesen, dass diese Entfernung auch die Kleinsten am Laufrad schaffen. Und dann fahren wir in Polizeibegleitung diese 5 Kilometer. Und wir enden immer in einem Park, damit man dort picknicken oder spielen kann. Unsere Lieblingsziele derzeit sind der Auer-Welsbach-Park im Westen von Wien und der Prater, wo wir heuer im Mai waren. Und wenn wir die 5 Kilometer gefahren sind, ist das Ganze wieder vorbei.

Du hast jetzt von den Kleinsten am Laufrad gesprochen. Ab welchem Alter geht’s bei den Teilnehmenden los?

Wirklich von ganz klein. Wir haben auch Leute, die ihr Kind im Lastenrad in der Babyschale mitnehmen. Also es gibt keine Untergrenze und es gibt auch keine Obergrenze. Also auch Erwachsene ohne Kinder sind eingeladen. Und für die Kinder ist es wirklich ein supertolles Erlebnis, wir fahren nur auf großen Straßen: Zweierlinie, Wiental, Ring. Und diese Straßen sind dann wirklich exklusiv für die Kinder. Dabei fahren die Größeren vorne, direkt hinter dem Polizeiauto. Die freuen sich, dass sie da auf den Riesenstraßen fahren können. Aber es ist ja nicht nur eine Spaßveranstaltung, wir haben auch Forderungen an die Politik aufgestellt, die wir mit den gemeinsamen Fahrten stärker einfordern wollen.

Was sind die Forderungen der Kidical Mass?

Die fünf Forderungen haben wir letztes Jahr in einer österreichweiten Gruppe ausgearbeitet:

  • Der erste Punkt ist eine kindergerechte Radinfrastruktur mit einem durchgängigen Netz. Wir wünschen uns ein durchgängiges Netz, wo man direkt von Zuhause in die Schule, ins Freibad oder wo auch immer mit dem Rad hinfahren kann. Und das in einer Qualität, die kindersicher ist.
  • Wir wünschen uns autofreie Zonen vor Schulen. Da gibt’s ja in Wien ein bisschen was. Das bringt nicht nur den Kindern, die am Rad fahren, sondern auch denen, die zu Fuß gehen, sehr viel.
  • Wir fordern Kreuzungen, die kindergerecht gestaltet sind. Also genug Aufstellflächen und genug Sichtbeziehungen, damit auch die Kinder, deren Köpfe etwas weiter unten sind, gut gesehen werden und gut sehen können, was da auf sie zukommt.
  • Wir hätten gerne Radspielplätze in allen Städten, damit die Kinder den Umgang mit dem Fahrzeug gut lernen können, Gleichgewichtsübungen machen können und den Umgang mit dem Fahrrad spielerisch gut erlernen können. (Anmerkung: In Wien gibt es zwei städtische Radspielplätze, den Radmotorikpark Kasiermühlen und den Radspielplatz Seestadt)
  • Und die fünfte Forderung, die wir haben, ist die Forderung nach Abstellplätzen, die auch lastenradtauglich sind, weil viele Kinder auch mit dem Lastenrad transportiert werden, aber es im öffentlichen Raum sehr wenig gute Abstellmöglichkeiten für Lastenräder gibt.

Wenn du von kindergerechter Infrastruktur sprichst, was meinst du genau?

Kindergerecht heißt ja auch sehr erwachsenengerecht. Also eine sichere Radinfrastruktur mit breiten Radwegen, sodass ich neben meinem Kind fahren und es ein bisschen unterstützen kann. Ich habe zum Beispiel bei meinem Sohn gern die Hand auf den Rücken gelegt, als er noch kleiner war, damit er eine gerade Fahrspur hat. Aber das kann ich natürlich nicht auf einem schmalen Zweirichtungsradweg, weil ich sofort in einem Konflikt mit dem Gegenverkehr bin. Wir fordern daher genügend Platz, genügend Sichtbeziehungen, unter Umständen auch solche Sachen, die in Österreich noch gar nicht üblich sind, wie eine Mittelstreifenmarkierung am Zweirichtungsradweg, damit die Kinder auch einen Anhaltspunkt haben, wo sie fahren müssen. Und vor allem auch die Durchgängigkeit vom Radverkehrsnetz.

Logo und Drachenfamilie von Kidical Mass

© Kidical Mass Österreich (Drachenillustration: Dani Bernold)

„Mittlerweile ist es eine große Drachenfamilie“

Das Logo der Kidical Mass ziert ein Drache. Warum ein Drache?

Da musst du die Grafikerin von der Radlobby fragen, die dieses Sujet entwickelt hat. Sie hatte einfach den Auftrag: „Mach uns etwas Schönes für Kinder und Radfahren!“ Und das ist dabei herausgekommen. Mittlerweile ist es eine große Drachenfamilie mit kleinen, großen, mittleren Drachen am Rad. Mit Helm und ohne Helm, da hat’s auch interne Diskussionen gegeben. Uns gefällt’s auf jeden Fall sehr gut.

Was ist denn deine früheste Kindheitserinnerung ans Radfahren?

Meine früheste Erinnerung ans Radfahren ist tatsächlich die Erinnerung, wie ich Radfahren gelernt habe. Das war nicht gut gemacht von meinen Eltern damals, denn ich habe es auf einem viel zu kurzen Stückerl in irgendeiner ruhigen Straße geübt. Und ich habe dort ziemlich wackelig versucht, Rad zu fahren, was nicht so recht ging, weil ich dauernd wieder umdrehen musste. Das ist die früheste Erinnerung, also gar nicht so ein Freudenerlebnis.

Der Hintergrund meiner Frage war, dass ich mir vorstellen kann, dass die Kinder von heute in 20 Jahren als Antwort auf diese Frage von der Kidical Mass erzählen könnten.

Ja, stimmt. (lacht) Also, da uns mehrere Eltern schon erzählt haben, dass die Kinder aktiv fragen, wann denn die nächste Kidical Mass ist, kann das durchaus sein, dass das in ein paar Jahren, das erste Erlebnis auf dem Rad ist.

Wo in Österreich gibt’s denn mittlerweile die Kidical Mass?

In allen Landeshauptstädten und in einigen kleineren Gemeinden: Vöcklabruck, Pregarten in OÖ, Mödling. Also überall, wo sich ein paar Menschen finden, die so etwas organisieren wollen und sich bei uns gemeldet haben.

Teilnehmende bei der Kidical Mass

Kidical Mass in Innsbruck (© Kidical Mass Österreich)

Und die Kidical Mass ist österreichweit am selben Tag?

Ja, es ist österreichweit an den selben Tagen. Also wir machen derzeit fix zwei Termine im Jahr. Und es ist nicht nur österreichweit am selben Tag, sondern europaweit in fast 220 Städten. Also in Deutschland hat sich eine Gruppe in Köln gebildet, die haben das wirklich intensiv betrieben, sie haben das über das gesamte deutsche Bundesgebiet und in die Schweiz, Großbritannien und Frankreich weiter getragen. Mittlerweile ist deren Homepage auch auf Spanisch übersetzt, und sie tragen’s jetzt auch nach Südamerika und in den spanischsprachigen Raum. Somit sind hunderttausende Kinder am gleichen Tag auf der Straße und haben alle den gleichen Wunsch nach kindersicherer Radinfrastruktur.

Wie viele Kinder sind in Wien dabei?

Bei der größten Kidical Mass waren es um die 900 Personen. Und ich schätze, dass davon über die Hälfte Kinder sind, denn oft kommt nur ein Elternteil und mehrere Kinder.

Wer jetzt Lust bekommen hat, bei der Kidical Mass dabei zu sein: Das nächste Mal findet sie am 24. September statt. Auf der Webseite gibt’s auch eine Newsletter-Anmeldung und die Möglichkeit, sich Lieder für die nächste Raddemo zu wünschen.