Keine Eiscreme, sondern eine Urne
„Schau, der Mann verkauft hier Eis“, das hat Marijan in letzter Zeit öfter gehört, wenn er mit dem Lastenfahrrad „Frieda“ unterwegs war. Marijan ist aber kein Eisverkäufer, sondern Bestatter. Und „Frieda“ ist sein Urnenfahrrad. Wir wollten mehr über die einzigartige Idee erfahren und haben daher Marijan, Felix und Kristina von der Bestattung Memoria zum Interview getroffen.
Vorbilder und Unikat
Wie kam’s denn zu der Idee mit dem Urnenfahrrad?
Marijan: Es gibt in Dänemark eine Bestatterin mit einem Sargfahrrad. Im Vergleich zu „typisch“ sieht dieses Fahrrad „typisch“ nach Bestattung aus. [Anm.: Der Sarg wird mit einem Fahrrad, statt wie in Österreich üblich mit Auto, transportiert.]
Dafür hat Dänemark zwei Vorteile: Da ist Radfahren üblicher als in Wien. Und es ist flacher. Am Hernalser Friedhof, wo die Steigung bei über 9% ist, würde es mit einem Sargfahrrad schwierig werden.
Felix: Für Wien gilt, dass es zum einen nicht praktisch ist, mit dem Sarg rumzufahren, weil die Friedhöfe zu große Steigungen haben. Zweitens finde ich auch, dass sich Wien – obwohl es fahrradtechnisch besser ist als Berlin, wo ich herkomme – dennoch nicht eignet, mit einem großen komplizierten Sarg durch die Gegend zu fahren. Und drittens ist es einfach nicht erlaubt. Laut dem Wiener Leichenbestattungsgesetz müssen Särge in geschlossenen Fahrzeugen transportiert werden. Schon allein deshalb fiel das Sargfahrrad als Option komplett weg.
Marijan: Bei Memoria sind uns Umweltschutz und Nachhaltigkeit sehr wichtig. Es war also klar, dass ein Fahrrad ideal zu uns passen würde. Das mit dem Sargfahrrad war aber doch so eine Idee, die hängen geblieben ist. Dann hat Felix irgendwann gemeint: Warum versuchen wir’s nicht mit einer Urne? Und in der Sekunde war die Idee geboren.
Ich kenne so ein Sargfahrrad auch aus Oldenburg. Urnenfahrräder kenne ich keine anderen. Seid ihr die ersten?
Marijan: Wir sind wirklich die ersten. Es gibt zwar einen Kollegen in Deutschland, der die Urne im Rucksack transportiert und mit dem normalen Rad herumfährt, aber wir wollten das Ganze in cool und in Farbe – und so ist „Frieda“ entstanden.
Kristina: Bei uns ist die Urne im Zentrum und nicht in einem Rucksack. Vorne gut sichtbar, und man fährt dann im Schritttempo. „Frieda“ ist deshalb auch ein Dreirad und kein Zweirad. Ein Zweirad ist nämlich erst ab 3-4 km/h stabil. Deshalb war von Anfang auch klar, dass für uns nur ein Dreirad in Frage kommt, damit es den ruhigen Moment am Friedhof geben kann. Mit einem Fahrrad müssten alle zügiger gehen oder gar über den Friedhof bis zum Grab joggen.
Felix: Und wir brauchen auch Platz, um weiteres Equipment für Urnenbeisetzung mitzunehmen. Wenn wir also nur ein Zweirad hätten, wo man einen kleinen Gepäckträger hat, würde das nicht reichen.
Außerdem soll das Urnenfahrrad nicht nur für Urnenbeisetzungen an sich genutzt werden. Es gibt auch die Möglichkeit, mit der Urne und dem/der Verstorbenen nochmals durch die Gegend zu fahren – z.B. durchs Grätzl oder auf die Donauinsel. Dabei kann die Urne nicht versteckt. Dann könnte die verstorbene Person nicht mehr den letzten Weg im Grätzl „sehen“, so absurd das klingt. Das ist ein bisschen der Gedanke dahinter. Außerdem sollen die anderen Leute sehen, dass hier jemand ist und dass das Sterben auch dazugehört und dass das trotzdem mit schönen und positiven Momenten verbunden werden kann.
Marijan: Um auf den Punkt zu kommen: Bevor „Frieda“ überhaupt entstanden ist, sind wir im Kopf schon viel mehr Kilometer gefahren als in Wirklichkeit. Damit konnten wir alle Situationen und Möglichkeiten schon mal durchdenken.
Woran habt ihr da beispielsweise gedacht?
Kristina: Dass die Box wasserdicht ist. Wir haben Musiklautsprecher innen verbaut. D.h. wir können Musik über das Handy abspielen, was wir bei Bestattungen auch tun.
Felix: Oder an die Urnengrößen. Urnen kommen ja in allen möglichen Formen und Größen, das haben wir bedacht. Wir mussten also gucken, dass sie – wenn sie sehr schmal ist – nicht komplett runterrutscht, sondern immer noch zu sehen ist. Daher gibt es so eine Konstruktion, mit der man die Halterung für die Urne verstellen kann.
Marijan: Bodenbeläge: Friedhöfe haben oft Baumwurzeln und Schlaglöcher. Deswegen haben wir auch extra dicke Reifen, damit da kein peinlichen Momente entstehen. Du musst dir vorstellen: Jetzt geht der Kondukt [Anm.: Trauerzug] dort, wo der Friedhofsgärtner einen dicken Wasserschlauch über den Weg gespannt hat. Da müssen wir drüberfahren können.
Kristina: Auch eine Kühlbox passt rein. Wir machen nämlich ab und zu auch ein Catering light beim Friedhof. Das muss alles mitgenommen werden können. Oder wenn man noch eine Runde auf die Donauinsel fährt, soll man dort mit der Angehörigen auch ein Eis essen oder ein Picknick machen können, wenn das die Familie wünscht und es zum Verstorbenen passt. Und „Friedas“ Box hat ein Schloss: Wenn man das Urnenrad einmal wo stehen lässt, muss man den Deckel abschließen können. Da hat uns eigentlich erst der Tischler drauf gebracht, da hatten wir davor gar nicht dran gedacht.
Marijan: Und die größte Hürde war eigentlich: Was kommt rein in dieses Loch, wenn keine Urne drin ist? Das haben wir bis zuletzt nicht wirklich gewusst.
Kristina: Wir haben auch schon an einem Blumentopf gedacht. Ich hatte auch gemeint, ob vielleicht ein Deckel mit einem Kopf drauf eine Idee wäre. Dann kam der Tischler mit einer Idee. Er hat gemeint: „Kein Knopf, weil wenn ein Knopf oben ist, dann zieht jeder dran.“ Eh klar. Und dann er einen ganz tollen Deckel gemacht, der sehr gelungen ist.
Der Deckel kam ja erst gegen Ende, als das Fahrrad schon fast fertig war. Welche Schritte habt ihr davor gesetzt?
Felix: Zuerst haben wir uns über die verschiedenen Radmodelle informiert und hatten da zuerst mit einem niederländischen Radbauer Kontakt, der uns auch schon erste Visualisierungen gemacht hat. Und dann haben wir festgestellt, dass wir gar nicht wissen, wie sich ein Lastenfahrrad fährt. So haben wir bei Grätzlrad geguckt, wo es die Räder, die uns interessieren, zum Testfahren bzw. Ausleihen gibt. Letztendlich sind wir aber dann doch zu einem Radhändler gegangen, der ganz viele Transportfahrrad-Modelle da hat. Und die waren auch total freundlich und haben uns auch ganz viele Tipps geben können.
Kristina: Wir sind auch mehrere Stunden dort gewesen zu dritt und haben alle einmal die Räder ausprobiert. Wir wussten gar nicht, wie unterschiedlich sich diese Modelle fahren lassen.
Marijan: Und wir haben dabei auch unterschiedliche Vorlieben gehabt. Kennst du die „butchers and bicycles“? Die kippen in der Kurve. Und da ich früher Motorrad gefahren bin, konnte ich damit irrsinnig gut fahren. Ich hätte am liebsten so eins gekauft, aber damit konnten die beiden gar nicht fahren. Und man muss auch sagen, dass man damit nicht langsam fahren kann. [Anm.: Im 3. Bezirk gibt es bei huberista bicycles+ ein Grätzlrad von butchers and bicycles zum Ausleihen.]
Felix: Und es ist dann auch wieder die Frage, wie das ist, wenn man mit einer Urne auf dem Rad fährt. Die Urne ist ein wichtiges Objekt, das muss sicher sein und wirken. Bei so einem neigenden Rad kriegt vielleicht schon mal jemand einen Schock.
Kristina: Oder es will – wie bei der Premiere von „Frieda“ – der Witwer selber zum Grab fahren. Dann wird das schwierig mit so einem Rad. So ungeübt. Da sind wir eines besseren belehrt worden. Lastenräder lassen sich irrsinnig unterschiedlich leicht bzw. schwierig fahren.
Felix: Letztendlich habe ich zufällig im 1. Bezirk ein Fahrrad gesehen, dessen Type mir gefallen hat. Ich habe dann gleich ein Foto gemacht und mir die Marke „BubbleBob“ gemerkt. Der Hersteller ist in Pfaffstätten, wo wir dann auch Probe gefahren sind. Und dann war’s mit einem Mal klar: Das ist es! Es fuhr sich wie Butter, alle fühlten sich sicher damit. Und dann erst ging es so richtig los. [Anm.: Im 2. Bezirk verleiht Omas Backstube ein BubbleBob-Grätzlrad.]
Kristina: Solange wir das finale Radmodell nicht hatten, wussten wir nicht wirklich, wo wir weitermachen sollten. Als wir dann die Entscheidung hatten, konnten wir richtig loslegen mit dem Tischler, mit der Konfiguration für die Box, den ersten grafischen Entwürfe. Es ist richtig gewachsen Stück für Stück. Wir wussten am Anfang gar nicht, wie’s am Ende aussehen wird.
Unterwegs in Wien
Wie seid ihr in der Praxis bisher zurecht gekommen? Welche Friedhöfe hat „Frieda“ schon gesehen?
Marijan: In Hernals waren wir schon am öftesten. Da war uns wichtig: Wenn wir’s am Hernalser Firedhof schaffen, schaffen wir’s auf jedem Friedhof, weil er wirklich sehr steil ist. Der Zentralfriedhof ist im Vergleich ein Witz. Das ist überhaupt keine Herausforderung für die „Frieda“.
Felix: Es ist jetzt auch ein zartes Abtasten, wann wir das Fahrrad einsetzen. Wir sind natürlich von dem Fahrrad überzeugt und finden es super. Und bisher ist die Rückmeldung von allen Leuten, die man so auf der Straße trifft, und von Familien, die zu uns kommen, weil sie jemanden bestatten, total positiv. Wir haben das Fahrrad schon mit zum Friedhof für die Urnenbeisetzung mitgenommen und „überraschen“ so ein bisschen. Die eine Familie hat gesagt, dass sie sich gar nicht getraut haben zu fragen. Und die waren dann ganz glücklich, dass wir’s mitgebracht haben.
Kristina: Und bei der Bestattung ist der Witwer dann am Friedhof selbst mit dem Fahrrad zum Grab gefahren.
Felix: Viele glauben auch nicht, dass wir es wirklich für Urnenbestattungen einsetzen. Manche sind so ganz vorsichtig, weil die glauben, man könnte da eine Urne aus Spaß reinstellen. Aber wir sagen dann auch immer, dass wir’s wirklich fürs Begräbnis verwenden können. Und dann tauen viele Leute wirklich erst auf. Aber es ist auch eine Generationenfrage: Viele Leute, die jetzt ihre Eltern beisetzen, meinen, dass es für die Eltern undenkbar ist. Aber für sich selbst sagen sie schon: Wenn ich dann soweit bin, dann soll’s die „Frieda“ sein.
Kristina: Wir sind natürlich auf eine gewisse Art und Weise für die Urnenbeisetzung beschränkt, weil wir schauen müssen, wie viel wir ins Rad reinkriegen. Wir bringen ja dann alles mit „Frieda“ zum Friedhof und sparen damit das Auto ein. Aber wir verwenden „Frieda“ auch für organisatorische Wege, wenn wir für die Sterbeurkunde zum Standesamt müssen oder die Parten irgendwo hinbringen. Das kann man super mit dem Fahrrad machen, man muss nicht mit dem Auto fahren.
Fahrt ihr auch abseits von dienstlichen Wegen mit dem Fahrrad – also ohne „Frieda“?
Kristina: Ich derzeit nicht. Ich habe ein Fahrrad im Keller stehen und bin damit vor den Kindern viel gefahren. Weil ich immer in einem kurzen Abstand schwanger war, ging das Fahrrad fahren für mich fürs erste nicht mehr.
Felix: Ich fahre in Wien viel mit dem Fahrrad. Ich bin auch zum ersten Vorstellungsgespräch mit dem Fahrrad hergekommen und fahre auch sonst mit meinem Fahrrad. Mein Arbeitsweg führt vom 5. Bezirk über den Gürtel und die Hasnerstraße, die sehr angenehm ist, nachdem ich am Gürtel gefahren bin. Und dann den Weg durch Ottakring hier nach Hernals.
Marijan: Seit es „Frieda“ gibt, fahre ich eigentlich ausnahmslos jeden Tag mit „Frieda“ nach Hause und ins Büro. Es macht auch tatsächlich mehr Spaß. Wir wussten immer, dass wir auf den ersten Blick mit einem Eisverkäufer verwechselt werden könnten. Und das passiert mir tatsächlich. So kommt man dann ins Gespräch und lacht gemeinsam. Ich werde oft aus den fahrenden Autos neugierig angesprochen, kaum angepöbelt, wie ich es sonst beobachte.
Ich war als Kind immer mit dem Rad unterwegs. später als Erwachsener nicht mehr, das ist irgendwie verloren gegangen. So musste ich mich dann auch gewöhnen, mit dem Lastenrad im Verkehr unterwegs zu sein. In den ersten zwei Wochen habe die Flüche der Autofahrer im Rücken und in der Niere gespürt.
Kristina und Marijan, werdet ihr und eure Söhne jetzt zur Fahrradfamilie?
Kristina: Luca, mein jüngster Sohn, ist jetzt 1,5 Jahre und kann schon so ein bisschen still sitzen. Da klappt schon eine längere Fahrt. Ich habe mir also überlegt, ob ich mir für die Kinder ein Lastenrad hole, weil ich das auch toll finde und praktisch. Zu Fuß ist es doch viel zu tragen, und öffentlich ist es auch nicht so toll mit den Kindern – mit drei Kindern ist es nicht immer so lustig. Aber mit dem Lastenrad wär das schon klasse.
Marijan: Und unsere Kinder sind sehr affin zu allem, was mit Rädern zu tun hat. Sei es Laufrad, Rad oder Roller. Die wären für den Spaß im Lastenrad zu haben.
Kristina: Unbedingt. Sie haben eh schon gefragt, ob sie mit dem Papa am Rad fahren dürfen. Dafür eignet sich „Frieda“ nicht, aber mal schauen. Vielleicht kommt ja irgendwann ein zweites Rad dazu.
Positive Reaktionen
Ihr habt schon von einigen Reaktionen erzählt. Wie ist es, wenn das Rad am Friedhof unterwegs ist mit Passant:innen? Wie reagieren die? Die kommen ja vermutlich nicht auf die Idee, dass ihr gerade Eis verkauft, oder?
Kristina: Nein, die nicht. (lacht) Aber Blicke … Immer mit einem Lächeln. Sie erkennen uns oft aus den Medien.
Marijan: Man muss sich auch vorstellen: Irgendwer bewegt das Rad. Und das ist oft der Bestatter, der nicht im Anzug sondern in Jeans unterwegs ist. Und der dann noch eine Melone auf hat – wir tragen ja immer Melonen. Man fühlt sich damit immer auch so ein bisschen in die Vergangenheit zurückversetzt, aber mit ein bisschen Witz. So ein Spagat zwischen Zukunft, Vergangenheit, modern, old-school. Und wenn man die „Frieda“ mit einem Leichenwagen vergleicht, wirkt sie locker und leicht. Und dementsprechend sind auch die Kommentare, Blicke und Gesprächsanfänge – einfach viel lockerer und nicht so versteift.
Gab’s Reaktionen aus der Bestatterbranche auf das Rad?
Marijan: Wir wissen, wir sind Tagesthema bei sämtlichen Kollegen in Österreich, vielleicht auch im deutschsprachigen Raum. Es gibt einen Sargvertreter aus Salzburg, der kennt alle. Von dem wissen wir, dass die Kollegen alle gesagt haben, dass es dafür eine gute Portion Mut, ein gutes Stück Wahnsinn braucht. Außerdem haben uns viele Ex-Kollegen, die eigentlich nicht mehr in der Bestatterbranche sind, gratuliert.
Felix: Als ich letztens am Hernalser Friedhof Blumen abholen musste, bin ich vor die Halle gefahren. Dort waren gerade andere Bestatter. Einer von ihnen guckte mit großen Augen, die wurden immer größer. Ich hab auch freundlich gegrüßt. Als ich dann die Allee beim Friedhof Hernals hochfuhr, merkte ich Blicke in meinem Rücken. Also drehte ich mich um, und dann standen alle fünf dort und guckten mir hinterher. Die haben auch nochmals freundlich gewunken, als sie mit dem Auto vorbei sind. Also das Rad ist ein Thema.
Marijan: Noch eine Motivation war auch, das zwar viele Bestatter bereits Elektroautos haben. Wenn man sich mit dem Thema Elektroautos genauer befasst, weiß man, wie suboptimal die eigentlich auch wirklich sind. Wir haben uns gedacht: Wir wollen das Thema Umweltschutz und CO2-Neutralität aufgreifen, aber ehrlich. Nur mit Elektroautos fahren, ist schon ein kleiner Schritt, aber nicht so wie „Frieda“.
Felix: Eine Sache, wo ich mir noch nicht sicher war: Es steht ja am Rad unten drauf „KOMMTZEITKOMMTRAD“. Und ich dachte mir, vielleicht ist das ein bisschen zu viel als witziger Spruch.
Kristina: Die Angehörigen am Friedhof haben gesagt: Es ist genau richtig. Und wir sind die einzigen, die ein Nummernschild auf dem Fahrrad haben 😉
Wenn „Frieda“ gerade nicht auf Dienstfahrt ist, parkt sie vorm Bestattungsunternehmen in der Hernalser Hauptstraße. Wer also neugierig geworden ist, wie einzelne Elemente genau konstruiert wurden, sollte einen Ausflug in den 17. Bezirk einplanen.