Fatima: „Ich wachse durch den Fahrtwind“
Fatima kann erst seit einigen Wochen Rad fahren. Sie hat an einem ÖAMTC-Fahrradkurs für Frauen aus aller Welt teilgenommen, der in Kooperation mit Fahrrad Wien stattfindet. Für die 50-jährige Kindergruppenbetreuerin ist damit ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.
Wie bist du zum Radfahren gekommen?
Ich bin im Irak geboren und aufgewachsen. Schon als Mädchen wollte ich gern Fahrrad fahren. Meine Mutter hat aber immer gesagt, dass es für mich als Mädchen verboten ist. Mein Bruder durfte aber schon. Als ich 7 Jahre alt war, habe ich heimlich das Fahrrad meines Bruders genommen und bin damit durch die Gassen gelaufen – und zwar in der Mittagshitze, während meine Mutter geschlafen hat. Ich erinnere mich bis jetzt, wie ich geschwitzt habe. Irgendwann hat mich meine Mutter doch erwischt und ab dann das Fahrrad versperrt. Jahrelang habe ich meine Mutter dafür gehasst, weil mein Bruder fahren durfte und ich nicht.
Seither habe ich oft versucht, Radfahren zu lernen. Mein Mann und meine Kinder fahren alle und wollten, dass ich mitfahre. Vor ein paar Monaten bin ich dann zufällig auf einen Radfahrkurs für Frauen beim ÖAMTC gestoßen. Für den habe ich mich sofort per E-Mail angemeldet. Zum Glück hat es geklappt.
Kannst du ein bisschen erzählen, wie es für dich war, Radfahren zu lernen?
Am ersten Tag am Übungsplatz habe ich unglaublich geweint – vor lauter Glück. Ich konnte nicht fassen, dass ich jetzt Rad fahren lerne. Am Anfang waren wir nur mit dem Tretroller unterwegs, das hat gut geklappt. Als wir aufs Fahrrad umgestiegen sind, bin ich einmal gestürzt und auf mein Steißbein gefallen. Danach habe ich den Kurs unterbrochen und konnte ihn später mit einer anderen Gruppe fortsetzen.
Im Rahmen des Kurses lernen wir auch, wie wir uns im Straßenverkehr bewegen sollen. Bei einer Ausfahrt sind wir vom Übungsplatz im 3. Bezirk in den Prater gefahren. Seit 20 Jahren war es mein Wunsch, in der Hauptallee zu radeln. Dass es dabei stark geregnet hat, war mir egal.
Was bedeutet Radfahren für dich?
Für mich ist Radfahren uneingeschränkte Freiheit. Es ist unglaublich. Wenn beim Radfahren kalte Luft unter die Kleidung kommt, wachse ich mit dieser Luft. Gestern habe ich auch mein Kopftuch etwas rauf genommen, damit die Luft auch zu meinem Hals kommt. Ich fühle mich unabhängig und unglaublich stark. Wenn ich Rad fahre, gibt mir das Motivation.
Wann und wo fährst du mit dem Rad?
Ich fahre täglich. Wenn ich Zeit habe, fahre ich am Vormittag. Wenn nicht, dann am Nachmittag. Wenn nicht, am Abend. Also immer, wenn es möglich ist. Gestern bin ich zum Beispiel von der Donaustadtbrücke Richtung Spittelau geradelt. Auf der Donauinsel gibt es eine gelbe Brücke für Fahrräder. Jahrelang schau ich schon aus dem Auto auf diese gelbe Brücke. Und gestern bin ich dann auch endlich über diese Brücke gefahren.
Hast du eine Strecke, die du unbedingt fahren willst?
Mein Ziel für diese Woche ist es nach Klosterneuburg zu fahren. Langfristig will ich am Mondsee, am Hallstätter See, am Traunsee und am Neusiedler See radeln. Dort waren wir überall schon mit dem Auto. Und wenn ich den Radfahrerinnen und Radfahrern aus dem Auto heraus zugesehen habe, wie sie entlang der Seen oder auch entlang der Donau radeln, habe ich innerlich geweint. Als ich gestern die Donau entlang gefahren bin, hat sich das angefühlt, als wären meine Fesseln endlich gelöst.
Wir haben auch mit Radlehrerin Daniela über die Radfahrkurse für Frauen gesprochen. Weitere Informationen und die Anmeldung zu den Radkursen von ÖAMTC und Fahrrad Wien für Frauen finden sich auf der Webseite des ÖAMTC.