200 Jahre Fahrrad
Ein Vulkanausbruch in der Nähe von Bali, Dunkelheit, Dauerregen, Schneefall im Sommer, Ernteausfälle über Jahre und massenhaftes Pferdesterben. Was nach einem Inferno aus einem Hollywoodfilm klingt war Realität im Jahr 1816 – und soll Auslöser für eine wichtige Erfindung gewesen sein: die des Fahrrads.
Karl, Freiherr von Drais, ein Forstbeamter aus Mannheim, hat ein Laufrad, die „Draisine“ erfunden. Am 12. Juni 1817 fand die Jungfernfahrt statt. 13 Kilometer fuhr Drais von Mannheim bis Schwetzingen. Laut eigener Angaben brauchte er dafür etwa eine Stunde. Und war damit schneller, als die damalige Postkutsche.
Die Draisine unterschied sich im Aussehen und – vor allem im Antrieb – vom Fahrrad wie wir es heute kennen. Groß sind die Unterschiede aber nicht, wie Produktentwickler Stefan Steiner gegenüber pressedienst fahrrad.de bemerkt: „Es ist faszinierend, dass sich 200 Jahre später die Laufradgröße kaum verändert hat. Auch der Radabstand von 1,20 Metern ist nicht so weit weg von unseren heutigen Tourenrädern. Das beweist, dass die Grundidee von Drais bis ins kleinste Detail durchdacht war.“
Anton Burg und die Draisine in Wien
Auch in Wien regte sich Interesse an der Maschine des Karl Drais. Ein Besuch am Wiener Hof wurde aber abgelehnt. Daraufhin baute im November 1817 der Maschinenfabrikant Anton Burg die Draisine nach. In der Favoritenstraße richtete er sogar einen Platz ein, an dem das Draisinenfahren geübt werden konnte. Ab dem Jahr 1818 verkaufte er die Nachbauten. Die Anton-Burg-Gasse im vierten Bezirk erinnert an den Wiener Fahrradhersteller früherer Tage.
Das Laufrad
Warum wurde die Draisine durch Anschieben mit den Füßen und Balancieren angetrieben und nicht schon durch Pedale? Die Menschen im frühen 19. Jahrhundert hatten Angst, die Füße längere Zeit vom Boden zu nehmen. „Wir beobachten das auch bei den Teilnehmerinnen an unseren Frauen in Fahrt Kursen. Personen, die im Erwachsenenalter Radfahren lernen tun sich etwas schwerer damit sich daran zu gewöhnen, die Füße längere Zeit vom Boden zu nehmen“, erzählt Wiens Radverkehrsbeauftragter Martin Blum. Deshalb sei es wichtig, schon früh mit dem Radfahren anzufangen. „Schon Eineinhalb- bis Dreijährige lernen mit Laufrädern spielerisch das Gleichgewicht zu halten, sich zu orientieren, Hindernissen auszuweichen und rechtzeitig stehen zu bleiben. Der Umstieg auf ein richtiges Fahrrad ist dann später einfach, “ so Blum. Laufräder für Kinder basieren übrigens noch heute auf der Idee von Karl Drais. Weitere Infos: Kinder am Rad
Radfahren in Wien damals und heute
Wirklich populär wurde das Fahrrad erst Ende des 19. Jahrhunderts. Von England und Frankreich kam der Fahrrad-Boom auch nach Österreich.
Die Leidenschaft fürs Radfahren erwacht um 1880. Die von England ausgehende Hochradbegeisterung hatte Wien erfasst. Vereine wie der Wiener Bicycle Club (1881), Wiener Tricycle Club (1882), Wiener Cyclisten Club (1883) oder Die Wanderer (1883) entstanden. 1894 fand vor 15.000 Besuchern das erste Wiener Radfahrer-Derby statt. Bernhard Hachleitner, Herausgeber des Buches „Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien“: „Der aktuelle Boom zeigt erstaunliche Parallelen zur Situation in den 1890er-Jahren: Damals wie heute ist das Rad nicht nur ein schnelles Fortbewegungsmittel in der Stadt, sondern auch ein Symbol eines urbanen Lebensgefühls.“
Anfangs war Radfahreneine reine Freizeitbeschäftigung. Es war nur abseits des Straßenverkehrs, etwa im Prater oder auf Landstraßen, erlaubt. Doch bald war das neue Gefährt auch auf den Straßen zu sehen. Doch es galten strenge Regeln: Nur wer eine Fahrprüfung ablegte, eine Nummerntafel hatte und eine Trillerpfeife mitführte, um auf sich aufmerksam zu machen, durfte auf dem Radsattel durch die Stadt. 1888 machten das rund 200 Personen, im Jahr 1896 waren bereits 12.694 Radler in Wien unterwegs. 1897 wurde das Rad als vollwertiges Verkehrsmittel auf öffentlichen Straßen anerkannt, allerdings ohne Nummerntafel.
Frauen wurde das Radfahren durch strenge Modeforschriften erschwert. Historiker Hachleitner: „Erst die Entwicklung des Hosenrocks erlöste die Frauen vom sportlichen Korsett. Eine Vorreiterin der weiblichen Emanzipation war die Politikerin und Gewerkschaftsführerin Anna Boschek“.
In den 1920er-Jahren machten Radfahrer in Wien rund 20 Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens aus. Mit der steigenden Verbreitung des Automobils verlor das Fahrrad zunehmend an Bedeutung als Verkehrsmittel. In den 1950er-Jahren galt das Fahrrad als Symbol einer endlich überwundenen entbehrungsreichen Zeit. Erst in den 1980er Jahren wurde die Vernachlässigung des Fahrrads in der Alltags-Mobilität langsam überwunden. „Mit dem Aufkommen der Öko-Bewegung feierte auch das Fahrrad in der Stadt ein Comeback“, erzählt Hachleitner. 1983 beschloss der Wiener Gemeinderat, Radwege zu bauen.
Mittlerweile haben die Menschen in Wien das Fahrrad wiederentdeckt. Die Stadt fördert den Radverkehr durch den Ausbau von Radwegen und investiert in Bewusstseinsbildung und Service für Radfahrende in Wien. Alles Aktuelle zum Radfahren in Wien finden Sie auf fahrradwien.at
Die Geschichte zum Radfahren in Wien können Sie im Buch „Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien“, herausgegeben von Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik, Rudolf Müllner und Michael Zappe, nachlesen.
Späte Anerkennung
Drais selbst hat den späten Erfolg seiner Erfindung leider nicht mehr erlebt. Er starb am 10. Dezember 1851 verarmt in Karlsruhe. Erst nach dem Ende des deutschen Kaiserreichs erfuhr Drais langsam Anerkennung als einer der größten Erfinder seiner Zeit.
Im heurigen Jubiläumsjahr wird dem Freiherr von Drais und seiner Erfindung viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Radlobby hat einen eigenen Themenschwerpunkt ins Leben gerufen und begann das Jubiläumjahr bereits mit dem Neujahrsradeln zum Thema „200 Jahre Fahrrad“. Das ARGUS Bike Festival am Wiener Rathausplatz und die 7. Wiener RADpaRADE standen unter dem Motto „200 Jahre Rad“. Ab 23. Juni 2017 zeigt die Landesgalerie Burgenland in Eisenstadt die Ausstellung „Bewegte Geschichte auf zwei Rädern“.