Fünf Jahre mit Blum
Im Herbst 2011 trat Martin Blum seine Arbeit als Fahrradbeauftragter der Stadt Wien an. Was ist ihm in diesen fünf Jahren gelungen? Eine Bilanz von Matthias Bernold, dem Chefredakteur des Magazins Drahtesel
Wer in der Früh gegen 8 Uhr die Friedensbrücke quert, hat gute Chancen, dem Wiener Radverkehrsbeauftragten zu begegnen. Zu dieser Zeit ist Martin Blum mit Lastenrad Richtung Alsergrund unterwegs, um seine Jüngsten in den Kindergarten zu bringen. Seit mittlerweile fünf Jahren leitet Blum die Mobilitätsagentur. Eine Institution, die bald nach Arbeitsbeginn von der rot-grünen Stadtregierung geschaffen wurde.
Wie wenig andere Jobs in der Verwaltung (vielleicht mit Ausnahme jener der Verkehrsstadträtin selbst) ist der des Fahrrad-Beauftragten heftiger Kritik ausgesetzt. Symbolisiert doch Blum alles, wovor die Automobil-Gläubigen Angst haben: Verkehrsberuhigung, Temporeduktion, Parkplatzabbau und ein Rütteln am Primat des Kfz in der Verkehrspolitik. Auch der Boulevard– wohl genährt von den Werbe- Etats der Kfz-Industrie – schießt sich gerne auf Blum ein.
Wie aber sieht die Bilanz des vormaligen Verkehrsclub-Österreich-Sprechers wirklich aus? Was ist ihm in den fünf Jahren gelungen? Was nicht? Und worauf dürfen wir in der nächsten Zeit hoffen?
Bewusstseinsbildung und Service
Bevor wir Bilanz ziehen, sollten wir uns in Erinnerung rufen, was die Mobilitätsagentur eigentlich ist: eine Art Kommunikationsabteilung der Stadt. Konkrete Infrastrukturmaßnahmen durchsetzen kann sie ebenso wenig wie Ampelschaltungen ändern oder die Straßenverkehrsordnung novellieren.
Allerdings sitzt Blum in vielen entscheidenden Gremien der Stadt, wo es seine Aufgabe ist, Expertise einzubringen und die Interessen der Radfahrenden einzumahnen. Die rund zwei Millionen Jahresbudgets der Agentur fließen in Veranstaltungen und Kampagnen, die Radfahren und Zufußgehen fördern und attraktiv machen sollen. Etwa das jährliche Streetlife Festival, das Radhaus oder das große Radjahr 2013 mit seinen an die 200 Veranstaltungen samt Fahrrad-Konferenz Velo-City.
Auch Informationsbroschüren und Servicemaßnahmen werden angeboten: Kinderradkurse, öffentliche Radpumpen, oder – während der U4-Sperre – die Bereitstellung von Leihrädern bei U-Bahnstationen. Auf Blums Geheiß richtete die Stadt neue Zählstellen ein, um das Radfahrenden-Aufkommen sichtbar zu machen. Initiativen wie „Radelt zur Arbeit“ wurden durch seine Unterstützung zur Dauerkampagne.
Es ist Blums Aufgabe, Bewusstsein und Verständnis zu erhöhen. Etwa zu erklären, warum es mehr Sicherheit bedeutet, wenn Radfahrende Einbahnen auch in Gegenrichtung befahren dürfen (weil sie von Kfz-Lenkern besser wahrgenommen werden und das Tempo drosseln). Wenn ein umstrittenes Radwegprojekt geplant wird, ist es an Blum, die Maßnahme gegebenenfalls in der Öffentlichkeit zu verteidigen.
Zahlen und Fakten
Ein Blick in die Statistik zeigt ein ambivalentes Bild. So erhöhte sich von 2011 bis 2016 die Zahl der Radabstellplätze von 27.329 auf heute rund 40.000 Stück. Das Radverkehrsnetz wurde um mehr als hundert Kilometer auf 1.317 Kilometer erweitert. Viele Lücken im Netz geschlossen. Es sind Maßnahmen, mit denen es Wien auf Platz 16 im jüngsten Copenhagenize-Index der radfreundlichen Städte geschafft hat. Diese Daten werden jedoch überlagert von einer anderen Zahl: dem Radverkehrsanteil laut Modal Split (der Statistik über die Wahl der Verkehrsmittel).
Blum war im Jahr 2011 mit dem Auftrag angetreten, die Vizebürgermeisterin zu unterstützen, den Anteil innerhalb von vier Jahren auf zehn Prozent anzuheben. Dass dies nicht gelang, hängt beiden bis heute nach. Wien dümpelt mit einem Anteil von 7 bis 8 Prozent bestenfalls im europäischen Mittelfeld dahin. Abgehängt etwa von München, das in den vergangenen zehn Jahren den Radverkehrsanteil von sechs auf 17 Prozent pushte. Und weit hinter den klassischen Fahrrad-Städten Kopenhagen Prozent und Amsterdam (30 Prozent).
Warum der Fahrradverkehr in Wien nur gemächlich wächst, dafür gibt es verschiedene Erklärungen: das gute öffentliche Verkehrsnetz, zu viele Hügel oder rücksichtslose Kfz-Lenkende. Auch Wiens dezentrale Struktur spielt eine Rolle, mit Automobil-orientierten Bezirksvorstehungen, die sinnvolle Fahrradprojekte bremsen. Vielleicht der gewichtigste Grund – diese Ansicht vertritt auch Blum immer wieder – sind die beschränkten Mittel für den Ausbau von Radinfrastruktur: Fünf bis sieben Millionen Euro jährlich fließen in den Radverkehr in Wien. Fahrradstädte investieren ein Vielfaches.
Der Reibebaum
Von Anfang an rieben sich die politischen Gegner an Blum. „Was bisher ein Magistratsbeamter relativ kostengünstig erledigte, soll künftig von bis zu dreizehn ,Häuptlingen’ und einer noch unbekannten Anzahl von ,Indianern’ getan werden“, ätzt etwa die „Kronenzeitung“, noch bevor Blum und sein – damals drei-köpfiges(!) – Team die Arbeit aufnehmen. In der Folge hatte Blum so manchen Shitstorm auszusitzen. Kritisiert wird etwa der Umzug der Mobilitätsagentur von Hernals in den Zweiten. Und als Blum 2013 nach einem Hochrechnungsfehler falsche Zahlen über Winterradfahrende veröffentlicht, verunglimpft ihn die „Krone“ als „Lügen-Pinocchio“.
Für noch mehr Entrüstung sorgte der Umbau der Mariahilfer Straße – das Vorzeigeprojekt der grünen Verkehrsstadträtin. Beliebtes Hassobjekt: Blum und seine „Kampfradler“, die angeblich in der Fußgängerzone die Leute terrorisieren. Lächerlich gemacht wird so gut wie jedes Projekt, wenn es nur aus der Mobilitätsagentur kommt. Selbst dann, wenn Blum nach tödlichen Verkehrsunfällen vorschlägt, Lkw-Lenkende für das Geschehen im toten Winkel zu sensibilisieren.
Auch die Fahrrad-Community nimmt Blum mitunter in die Mangel: Dann nämlich, wenn Infrastrukturprojekte halbherzig oder langsam durchgeführt werden, oder wenn die Stadt neuerlich – wider besseres Wissen – einen schmalen Mehrzweckstreifen auf eine Fahrbahn pinselt. „Mit den Emotionen und den Interessenskonflikten im Straßenverkehr umzugehen, zählt zu meinen Aufgaben“, sagt Blum: „Es gibt heute – vor allem in den Foren – die Dynamik des Aufschaukelns. Vieles wird zugespitzt.“ Über die Jahre sei seine Haut dicker geworden. „Für mich ist wichtig, dass das Gros der Radfahrenden immer zufriedener wird. Das zeigt nämlich der jährliche Fahrradreport.“
Mehr Understatement in der Stadtverwaltung
„Wir wollen alle Wienerinnen und Wiener mit dem Rad-Virus infizieren“, hatte Maria Vassilakou bei der Präsentation des Radjahres 2013 einmal gesagt: Diese Ankündigung repräsentiert ganz gut den offensiven Stil, mit dem die rot-grüne Stadtregierung das Radfahren in ihrer ersten Legislaturperiode bewarb. Unter Rot-Grün 2.0 ist die Kommunikation gezeichnet von Understatement und dem Bemühen, weniger Angriffsfläche zu schaffen.
Vielleicht ist das Thema Verkehrspolitik derzeit auch von anderen Themen überlagert. Schaut man sich die letzten fünf Jahre an, fällt noch etwas auf. Sachte, sachte zeigt sich ein gewisses Umdenken. Beispiel Innere Stadt: Hier bremste die Bezirksvorstehung stets, wenn es um die Errichtung zusätzlicher Radbügel, um die Freigabe von Einbahnen oder neue Radwege ging. Die heuchlerische Politik ging soweit, dass sich die ehemalige Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel an einen Baum kettete, um den Ausbau des Ringradwegs zu verhindern. Inzwischen sind anscheinend neue Zeiten angebrochen: Bezirksvorsteher Markus Figl kündigte im vergangenen Herbst an, dass er einer jahrzehntelangen Forderung der Radlobby entsprechen und Teile der Fußgängerzone am Graben und Kohlmarkt für Radfahrende freigeben wolle. Unterdessen formierten sich Geschäftsleute in der Herrengasse und ließen auf eigene Kosten die Straße in eine Begegnungszone umbauen. (Anders als damals bei der Mariahilfer Straße verzichtete die Wirtschaftkammer diesmal auf düstere Prophezeihungen, dass mit einer Verkehrsberuhigung auch die Kundinnen und Kunden ausbleiben würden…)
Es tut sich also was in Wien. Und selbst, wenn Blums Bilanz differenziert ausfällt: Dies ist auch sein Verdienst.