Von Zahlen und Rädern und dem Bemühen um eine verkehrspolitische Sachlichkeit
Mein Kommentar zur Diskussion über falsche Winterradel-Zahlen.
Anfang November hat die Mobilitätsagentur eine Umfrage zum Thema Radfahren im Winter veröffentlicht. Es war dies der Auftakt zu einer Info- und Serviceaktion für das Radeln im Winter, über die in verschiedenen Medien berichtet wurde.
Ziel der Umfrage war, ein wenig mehr über Motivation und Nichtmotivation beim Radeln – nicht nur – im Winter herauszufinden. Gemeinsam mit den Expertinnen und Experten des Instituts haben wir die Umfrage konzipiert und auch die Datenerhebung besprochen.
Wir wollten wissen, wie viele Menschen in Wien das Rad als Verkehrsmittel nutzen, und sei es auch nur ab und zu. Bei der Hochrechnung ist dann leider ein Fehler unterlaufen: Beim repräsentativen Durchschnitt war ein Großteil derer schon herausgerechnet, die gar kein Fahrrad besitzen. Dadurch ist es zu einer überhöhten hochgerechneten Anzahl an Radfahrenden gekommen. Die falschen Zahlen wurden veröffentlicht. Wir haben den Fehler, nachdem wir ihn entdeckt haben, via Facebook, Twitter und Aussendung sofort richtiggestellt und unser Bedauern über dieses Versehen ausgedrückt.
Die ohnehin bereits emotionalisierte Debatte zum Radfahren, zur Mobilitätsagentur sowie zu meiner Person wurde neuerlich befeuert.
Es gab die Anschuldigungen in Medien, ich hätte „Zahlen frisiert“. In einem anderen Medium war von Kosten der Umfrage von „mindestens 10.000 Euro“ die Rede. Das ist stark überhöht. In Artikeln wurden auch Berechnungen und Aussagen mit den hochgerechneten Daten angestellt. Die Anzahl derer, die ungeachtet der Jahreszeit radeln, wurden als tägliche Radfahrende dargestellt. Inkludiert waren aber vielmehr auch selten und manchmal Radfahrende.
Auf den Fehler der Mobilitätsagentur wurde also heftig reagiert. Es stellt sich die Frage: Warum polarisiert urbane Verkehrspolitik so unglaublich? Die seit August anhaltende Diskussion über eine 300 Meter lange Fußgängerzone ist dafür ebenfalls ein gutes Beispiel.
Weltweit wachsen Städte in einem enormen Tempo, gleichzeitig nimmt das Bedürfnis nach Mobilität zu. Das führt zu einer Umbruchsituation. Mit den bisherigen Werkzeugen urbaner Verkehrspolitik und -steuerung lassen sich dieses Wachstum und die bisherige Art von Mobilität nicht mehr in Einklang bringen. So auch in Wien.
Also besinnen sich die allermeisten Städte auf die Zeiten vor der automobilen Massenmotorisierung und drängen private Kfz zurück. Sind diese doch mit die teuersten, umweltschädlichsten und vor allem am meisten Platz fressenden Verkehrsmittel. Ein Auto benötigt allein rund zehn Quadratmeter öffentlichen Raum.
Die Beispiele dafür sind längst nicht nur auf Wien beschränkt und sind mannigfach. Dazu zählen die Parkraumbewirtschaftung, für bestimmte Fahrzeuge oder Tageszeiten limitierte Straßen, City-Mautsysteme, autofreie Tage oder gar die begrenzte Zulassung von Autos wie in einigen Metropolen Asiens. Meist werden diese Maßnahmen mit dem Ausbau des Öffentlichen Verkehrs, von Carsharing Systemen, öffentlichen Radleih-Systemen wie dem New Yorker Citibike oder dem Pariser Velib vorangetrieben. Radverkehrsbeauftrage zählen mittlerweile ebenso wie der kontinuierliche Ausbau der Radinfrastruktur zur Normalität europäischer Großstädte.
In vielen Städten wird die Diskussion in dieser Umbruchsituation im rhetorischen Stil von Glaubenskriegen geführt. Rationale Argumente, eine sachliche Diskussion, das Ringen um die besten Lösungsansätze bleiben dabei oft auf der Strecke und geraten wortwörtlich unter die Räder.
Das liegt sicher auch an einer kommunikativen Aufladung des Automobils als dem jahrzehntelang erlerntem Ausdruck individueller Freiheit und Status schlechthin. Einschnitte, die das Automobil beschränken, werden damit leicht als Angriff auf die persönliche Freiheit und als Bevormundung gesehen.
In Wien scheint mir ein besonderes Spezifikum hinzuzukommen. Hier ist das Konfliktthema Radfahren und Zu-Fuß-Gehen besonders präsent. Die zwei natürlichsten Fortbewegungsarten, das Zu-Fuß-Gehen und das Radfahren werden oftmals gegeneinander ausgespielt. Nicht das schnelle und sperrige Automobil wird als räumliche und tatsächliche Bedrohung des zu Fuß Gehenden, Eilenden oder Flanierenden gesehen, sondern es ist wechselweise der Rad-Rowdy, der Kampfradler oder auch Gehsteigradler.
Abseits des überhitzten medialen Diskurses beobachte ich in der Stadt jedoch etwas ganz anderes: Die Wahl des jeweiligen Fortbewegungsmittels ist längst keine Glaubensfrage mehr, sondern von Nützlichkeitserwägungen geprägt. Die allermeisten Wienerinnen und Wiener nutzen die Öffis, gehen zu Fuß, radeln mal mehr und mal weniger und lassen immer häufiger das Auto stehen. Und genau darauf deuten auch die Zahlen der Umfrage hin.